BÜHNENSTÜCK
Die Uhr in drei Akten
3 Akte Personen:
1. Akt (Im Hintergrund Gesang, Gelächter und Gläserklingen.) John: Es war nett von deinem Vater, mich mit einzuladen. Freund: Ja, das stimmt. Wo er doch sonst für Freude nichts übrig hat. John: Der Wein ist gut. Freund: Ja, das stimmt. John: Komm, verlassen wir ein wenig die lustige Gesellschaft. Gehen wir doch zu diesem Tisch dort drüben. Freund: Wie du willst. (Hintergrund wird nur leiser.) John: Hier ist endlich ein ruhiges Plätzchen. Schau, da liegt eine Uhr. Freund: Die hat gestern auch schon da gelegen. John: Wem gehört sie? Freund: Ich weiß nicht. John: Sie sieht schön aus. Freund: Ja. John: Wie das Metall glänzt. Es ist Gold, nicht wahr? Freund: Ja, reines Gold. John: Ich habe mir schon immer so eine gewünscht. Ein kostbares Ding. Wieviel kostet sie? Freund: Oh, sehr viel. Willst du du dein Glück verlieren? (John nimmt die Uhr, beide entfernen sich vom Tisch.) John: Wie spät mag es sein? Freund: Schau doch auf die Uhr. John: Kurz vor 12 Uhr.
(Vor das Licht tretend:) Freund: Leg' sie zurück, ehe es zu spät ist! John: So eine wünsche ich mir. – Freund: Ich weiß nicht. Aber beeile dich, es schlägt gleich 12. John: Sieh dort den Tisch – ich glaub', dort lag sie. Freund: Schnell. John: (Er geht langsam zum Tisch und betrachtet dabei immer wieder die Uhr. Während dessen schlägt eine Uhr dumpf zwölfmal. Beim letzten Schlag erschrickt John – mit der Uhr in der Hand. Leise fängt etwas an zu trommeln oder ticken. Der Hintergrund verstummt.) Ich wollte sie zurücklegen. Aber ich konnte nicht mehr. Freund: Warum nicht? John: – Ich weiß nicht. Freund: Du bist langsam gegangen, John –so geht doch kein glücklicher Mensch. John: Ach ... (zweifelnd, Pause, plötzlich:) John: Hör! Was ist das? Freund: Die Uhr in deiner Hand. John: Wirklich? Freund: Ich weiß nicht. John: Leise! Ich höre Schritte. Freund: Nein. John: Doch! Ich höre sie! Sie kommen näher. Freund: (von fern:) Du hast sie gestohlen, John. John: Die Uhr? – Nein, ich will doch nur wissen, wie spät es ist. (Alles leise.) Freund: Du hättest es nicht tun sollen. John: Ich lege sie zurück. Ja? (bittend) Freund: Jetzt ist es zu spät. John: Leise, er ist jetzt ganz nah und wird sie sehen. Freund: Versteck sie doch. John: Ja, ist gut. (–––) Vater (des Freundes): Sie sind fort. John: Ich wollte es nicht. Vater (des Freundes): Sie sind alle nach Hause gegangen. Und du? John: Ich werde auch gehen! Freund: Du kannst doch nicht – es ist 12 vorbei. John: (leise) Dein Vater schaut mich so an. Freund: (fremd) Hörst du sie nicht. Die Uhr gehörte ihm – jetzt gehört DU ihr. John: Ach was, ich muss nach Hause. Freund: Du hast kein Zuhause mehr. John: Auf Wiedersehen. Freund: Es gibt kein Wiedersehen. Es ist zu spät. Vater (des Freundes): Zu spät?
2. Akt (John läuft hastig nach Hause. Klopft gegen die Haustür. John's Vater steckt den Kopf durch's Fenster.) Vater (von John): Zum Teufel! Warum lärmst du so? Was willst du? John: Vater ...! Vater (von John): Scher dich fort! Ich habe dich nie gekannt. Denkst du, ich höre sie nicht? Mutter: (hinzukommend am Fenster) Ach, John. Warum hast du das getan? Waren wir je schlecht gewesen? Und dein Freund – er ist nicht von hier. – Ein böses Gesindel. Oh, Wilhelm, sei nicht so hart zu ihm. Er ... Vater (von John): Nein, er muss fort. Soll er unsere Familie ins Unglück stürzen? Mutter: Nein. John, geh. Es ist besser so. Vater (von John): Fort! John: Gut, ich gehe. (Das Fenster wird zugeschlagen. Es ist Nacht.) John: (seufzt) Ich gehe zum Freund und bringe sie zurück.
3. Akt (John klopft an die Haustür seines Freundes. Nach einer Weile wird ein Fenster aufgemacht.) John: Haaallooo! Hee! Diener: Was willst du? John: Ich – ich will meinen Freund sprechen. Diener: Er ist nicht mehr zu sprechen. Er schläft. Alles schlafen jetzt. John: Auch sein Vater? Schläft auch er? Diener: Nein! Er schläft nie. John: Ich will sie hierlassen. Diener: Es geht nicht. Du hast sie ja gestohlen. Jetzt ist es zu spät. Hörst du? Zu spät! John: Ich kann es nicht mehr. Ich hab' sie
doch nicht gestohlen. Ich will sie auch nicht mehr. Hier hast du sie! Es
ist nie zu spät! Diener: Ja, jetzt endgültig. Sie ging schon jahrelang nicht mehr. Jetzt ist auch das Glas entzwei! John: Das kann nicht sein. Oh, nein, ich hab' sie doch gehört. Wir alle haben sie doch gehört. Was war denn das? Diener: Ich sagte dir schon, ER schläft nicht. ENDE
© 1968 johannes stephan wrobel - stephan castellio, Alle Rechte vorbehalten ________________ Mein jugendliches Bühnenstück "Die Uhr in drei Akten" (Barcelona, August 1968) verarbeitet beispielhaft das Schlagen des menschlichen Gewissens in Verbindung mit einem Diebstahl und setzt es wortkünstlerisch in Szene. ________________
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