Friedrichstraße Ost-Berlin
(West-Berlin, Herbst 1968)
Wir
gingen durch die Sperre. Entlang wartender Menschen, deren Gesichter
Leid und Hoffnung ausdrückten. Sie warteten alle – vielleicht vergebens, doch sie blieben. Die Leute standen in dichter Reihe, warfen
fragende Blicke zum Eingang.
Die Spannung wuchs. Ein neuer Schwarm war aus der Tür gekommen. Ihre
Blicke musterten die ernsten Gesichter hinter der Sperre. So manche
Hoffnung der Wartenden erfüllte sich; unter Tränen wurde die Freude
geteilt. Doch wie viele wurden auch heute wieder enttäuscht!
Die Halle war kalt und unsympathisch. Die Stimmung war bedrückt, traurig
und hoffend zugleich. Eine Frau kam aus der dichten Reihe der Wartenden.
Trat auf mich zu. “Kommt ihr von drüben?” Ich sah in ihre verweinten
Augen. “Ja”, antwortete ich. Wir gingen weiter.
Wir
passierten den Augang und standen endlich auf der Straße.
Mit einem Taxi fuhren wir durch den spärlichen Verkehr. Ich schaute
durch das Fenster. Die Straße schien eher einsam als belebt. Erst auf
Geschäftsstraßen sahen wir Menschengruppen. Immer wieder dieses
traurige Bild. Die Seitenstraßen waren beinahe ganz ausgestorben.
Hier und da spielten Kinder. Die großen, grauen Fasaden der Häuser machten
einen toten Eindruck.
Doch hier, zwischen den dunklen Häusern, mit ihren düsteren
Hauseingängen, ist ihr Spielplatz. Und in einigen
hundert Metern ist Stacheldraht!
Ein Junge spielt mit seinem Ball, und der Ball hüpft auf dem kalten
Straßenpflaster.
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Durch den Bau
der Berliner Mauer (13. August 1961) konnten meine Eltern und
Geschwister, die wir im demokratischen West-Berlin wohnten, unsere
Großmutter im Ostteil der Stadt, der “Hauptstadt” der sozialistischen
DDR, zunächst nicht mehr besuchen. Bis es Passierscheine zum Jahresende
1963 für den Verwandtenbesuch in Ost-Berlin gab, also nach 28 Monaten.
(Es folgten drei weitere Passierscheinabkommen für 1964, 1965 und 1966.)
Dann durften wir mit etwas Gepäck, kleinen Geschenken für die Oma, die
Grenze passieren. Die Grenzübergangsstelle war im Bahnhof
Friedrichstraße. Hier mussten wir in einer Halle warten, wurde
abgefertigt, unser Gepäck untersucht, durften dann passieren.
In der Halle standen Ost-Berliner, die auf den Besuch ihrer Verwandten
warteten oder hofften. Wir fuhren mit einem Taxi von der Friedrichstraße
in die Czarnikauer Straße, wo meine Großmutter wohnte. Die Straße lag
nahe der Sektorengrenze zwischen Ost- und West-Berlin an der Brücke
Bornholmer Straße. Mein Erinnerungsbericht bezieht sich auf den ersten
oder auf einen der nachfolgenden Besuch mit Passierschein in Ost-Berlin.
Leider ist mir nicht erinnerlich, wofür ich den Text niederschrieb,
ob es zum Beispiel für eine Hausarbeit in der Schule war
– eher nicht. Den Text hatte ich damals nicht wie sonst in Handschrift hinterlassen,
sondern in Maschinenschrift, sicherlich wegen des besseren formalen Eindrucks.
Auch wenn der Text keinen Hinweis auf meine Absicht des Schreibens enthält (das Bedürfnis, Gefühle durch Schreiben auszudrücken statt verbal hatte ich bereits früh verspührt), folgte ich doch sehr wahrscheinlich erstmals dem inneren Drang, eine bleibende Erinnerung zu schaffen – denn "Was man schreibt, das bleibt!" sollte später und bis heute mein Motto sein.
© 1968 johannes stephan wrobel - stephan castellio
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